Cool in Kirchen

Im Jahr 1854 hat der Wiener Klavierfabrikant Alt die Ehre, zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern der Trauung „des erhabenen Kaiserpaares“ Franz Joseph I. und Elisabeth in der Augustinerkirche beiwohnen zu dürfen. Die Familie war bereits um 3 Uhr Nachmittags zur Stelle, um eine gute Sicht auf die Geschehnisse zu haben. Allerdings dauerte es bis zum Beginn der Feier noch über drei Stunden. Dabei wurden die Kinder hungrig, erklärlich, da sie bis auf das um zwölf Uhr genossene Mittagessen nichts zu sich genommen hatten und der Vater „Anstand trug, eine so ehrfurchtgebietende Stätte wie eine Kathedrale durch Mitnahme und Verzehren von Esswaren zu profanieren.“ So versuchte er, die Aufmerksamkeit der Kinder auf das bevorstehende große Ereignis zu lenken, und das schien ihm auch gelungen zu sein. Als allerdings Fürsterzbischof Rauscher den Namen und sämtliche Titel des Kaisers feierlich aufzählte, geschah das Missgeschick. Vermutlich glaubten die Kinder, dass diese Aufzählung, in der eben der zwölfte Titel „Graf von Habsburg und Kyburg“ genannt wurde, endlos so weitergehen würde. Fürsterzbischof Rauscher wollte gerade mit dem nächsten Titel fortfahren, als der Ruf „Ich möcht’ was zu essen!“ in dem andächtig lauschenden Dom laut wurde. Er kam aus dem Mund der fünfjährigen Pauline Alt. Die Familie brach unverzüglich auf, um sich so unbemerkt, als es möglich war, zu entfernen …

Was Ernst Lothar in seinem Roman „Der Engel mit de Posaune“ fiktiv beschreibt, spiegelt das Verständnis von Kirche als eines Raumes, der nicht durch Essen und Trinken gleichsam profaniert werden darf. Dass profanes Essen und Trinken in einer Kirche unangebracht ist, erscheint zunächst einleuchtend. Die Würde und Heiligkeit des Raumes und seine den menschlichen Alltag übersteigende Funktion scheint dies wie von selbst auszuschließen. Aber so einfach ist es nicht, und man muss schon genau unterscheiden, welche Formen des Zusichnehmens von Speisen und Getränken wann, wo und in welchem Zusammenhang erlaubt bzw. verboten sind.  Eis beispielsweise ist nicht gestattet, wie es an manchen Kirchentüren eindeutig gezeigt wird.

„Coole Orte

Mauritiuskirche (Hildesheim) mit Tür vom Kreuzgang aus.

Dass Kirchen gerade in den Sommermonaten reizen können, sich in ihnen aufzuhalten, ist verständlich. „Coole Orte“ übertitelte das Freiburger Konradsblatt vom 3. 7. 22 ein doppelseitiges Bild der Krypta des Speyerer Domes. In ihm sei es, so heißt zum Bild, an sommerlich heißen Tagen drinnen schon mal 20 Grad kühler als draußen. Kirchen, Klöster, Kreuzgänge: ein erfrischende Rückzugsräume, wenn die Temperaturen an die 40 Grad reichen. Ähnlich empfand dies wohl eine Redakteurin der Hildesheimer Zeitung. In einer Kolumne „Pommes vorm Dom“ schrieb sie, dass sie sich bei Hitze gern einmal in einer kühlen Kirche aufhält, weil sie hier ihre Ruhe hat, ein Buch lesen oder ein mitgebraches Rosinenbrötchen essen kann, was in einer Drogerie eher schwierig ist: „In einer Drogerie“, schrieb sie, „muss man seinen Aufenthalt quasi legitimieren, während eine Kirche ja dazu gedacht ist, darin rumzusitzen.“ Und die anfallenden Brötchenkrümel kann man unter die Bank fegen und sich dann auf den Weg nach Hause machen.

War wahrscheinlich satirisch gedacht. Leider gibt es viele Menschen, die so denken und sich so verhalten. Immerhin: Sie stören nicht durch Rumlaufen, lautes Reden und Fotografieren. Und auch das Rosinenbrötchen hinterlässt weniger Spuren als eine Bratwurst mit Senf, die manche Besucher von Weihnachsmärkten auch gern mal mit in die Kirche nehmen, wenn diese in Nähe von Kirchen stattfinden. Oder Pommes mit Ketchup oder eine Tüte mit gebrannten Mandeln. Dass so etwas leider geschieht, wird  von Verantwortlichen solcher Kirchen beklagt. Ob man dies in einem Opernhaus oder Theater machen würde?

Mauritiuskirche Hildesheim, Kreuzgang

 

 

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