Von der Hochschätzung des Wortes Gottes

„Wort-Gottes-Feier“ nennt sich eine liturgische Form, die seit einigen Jahren in der katholischen Kirche angeboten und gefeiert wird. Zu ihrer Durchführung braucht es keinen Priester, weshalb sie in Zeiten des zunehmenden Priestermangels immer häufiger auf den Gottesdienstplänen erscheint.

„Wortgottesdienst“ nannte man eine solche Form früher, aber weil das auch die Bezeichnung für den ersten Hauptteil der Messe ist und sich diese neue Form davon unterscheiden sollte, wurde nicht dieser Namen gewählt, sondern einer, der auch zum Ausdruck bringen soll, dass es sich um eine selbständige Feier der Gegenwart Christi in seinem Wort handelt.

Um diese Bedeutung und Hochschätzung des Wortes Gottes zum Ausdruck zu bringen, gibt es auch besondere Riten wie die „Verehrung des Wortes Gottes“. Das kann die Übertragung und Aufstellung („Inthronisation“) des Buches (Lektionar bzw. Evangeliar) auf einem Pult inmitten zweier Leuchter sein; die Verehrung durch die Gemeinde durch Verneigung vor dem Buch oder Berührung mit der Hand; durch einen gesungenen oder gesprochenen Lobpreis des Wortes Gottes.

Ein wenig riecht das noch neu und nach dem Schreibtisch, wo diese Riten entstanden sind; es braucht wohl einige Zeit, bis sie zum Ritual abgeschliffen sind. Welche Bedeutung das Wort Gottes und die gottesdienstlichen Bücher für eine Gemeinde haben können, zeigt eine kleine Geschichte von Paul Ernst (1866–1933), Die Hand Gottes, in der er von einem besonderen Vorkommnis erzählt, das sich während des Dreißigjährigen Krieges in einem kleinen Dorf im Norden Deutschlands ereignete. Die Hochschätzung, das wird deutlich, kommt hier aus dem Inneren, aus der Dankbarkeit und dem Stolz.

Die Hand Gottes (gekürzt und nacherzählt)

Die Leute waren zu arm, um einen Prediger zu unterhalten. Aber der Schmied des Dorfes hatte auf seiner Wanderung Lesen gelernt, und die Dorfleute legten Geld zusammen, damit er in der Stadt die geistlichen Bücher kaufen konnte, die sie brauchten: die Bibel, die Lutherische Postille, das Gesangbuch und den Katechismus.

Die Bücher waren in feste Holzdeckel gebunden und mit Schweinsleder überzogen, der Schmied hatte noch eiserne Beschläge gemacht und angebracht. An den Sonn- und Festtagen versammelte sich das Dorf reihum auf der Diele eines Bauern zum Gottesdienst: Der Schmied saß auf einem Stuhl, neben sich einen brennenden Kienspan, und las vor: den entsprechenden Abschnitt aus der Bibel, die Auslegung Martin Luthers und ein Stück aus dem Katechismus. Zu Beginn und zum Schluss wurde ein Lied aus dem Gesangbuch gesungen, wobei der Schmied den Text der Strophe jeweils vorsprach; der Schäfer begleitete den Gesang mit seiner Schalmei.

Die Bücher waren der kostbarste Besitz des Dorfes, auch wegen der Mühe, die die Dorfbewohner hatten, das Geld zusammenzubringen. Der Schmied hatte einen alten Großvaterstuhl, in den er einen Kasten einbaute, um die Bücher, verdeckt durch das Kissen, dort aufheben zu können. Denn inzwischen herrschte Krieg und man musste den Überfall und die Plünderung des Dorfes durch eine Soldateska fürchten.

Und das stand ihnen tatsächlich bevor. Eines Nachts kam ein Knecht aus dem Nachbardorf gerannt und schrie: „Die Kaiserlichen kommen, rettet das Vieh, die Kaiserlichen kommen!“ Die Leute fuhren aus dem Schlaf , die Frauen jammerten , die Kinder schrien; die Männer packten die Betten und das wenige Hab und Gut zusammen, schirrten das Vieh los, und in Hast und Getümmel, unter dem Blöken des Viehs, ging es in den Wald, in dem es ein vorher vereinbartes Versteck gab.

Mit der Morgenröte kamen auch die kaiserlichen Reiter. Sie fluchten, als sie das Dorf leer fanden, suchten in den Häusern nach zurückgelassenem Gut und vor allem nach Essbarem. Als sie wenig fanden, ließen sie die Pferde die Gärten zerstampfen, zerschlugen mit den Säbeln die Bäume und zündeten das Dorf an, um weiterzuziehen. Da geschah es, dass einer der Soldaten, der auf dem Dachboden des Hauses plündern wollte, das dem Schmied gehörte, sich mit den Sporen in einem Tuch verfing, die Treppe hinterstürzte und sich beide Beine brach. Seine Kameraden fanden ihn, setzten ihn in den Großvaterstuhl, den sie aus dem Haus ins Freie trugen, stiegen auf, sprengten davon und ließen den Mann zurück.

Der Abzug der Reiter wurde den Dorfleuten im Versteck durch einen Späher gemeldet. Vorsichtig und mit bangem Herzen machten sie sich auf den Weg zurück. Wie sie vor ihrem zerstörtem Dorf ankamen, wo nur noch wenige Häuser standen und die Dächer verbrannt waren, schrien alle auf. Der Schmied ging mit seiner Dienstmagd, die seine Kinder bei sich hatte, voran ins Dorf hinein; dort fanden sie den verwundeten Reiter auf dem Großvaterstuhl sitzen, in jeder Hand eine Pistole. Eine richtete er auf den Schmied und sagte: „Ich habe Geld. Wenn ihr mich pflegen wollt, dass ich wieder laufen kann, sollt ihr alles haben.“ Doch der Schmied achtete nicht darauf, sondern fragte: „Sind die Bücher da?“ Der Soldat verstand nicht. Da rief die Dienstmagd: „Die Bücher sind gerettet!“ ­– „Die Bücher sind gerettet!“, ging es von Mund zu Mund und die Dorfbewohner atmeten auf. Der Schmied beruhigte den Soldaten, hob ihn von seinem Stuhl und bettete ihn behutsam auf Stroh.

Dann schlug er den Sitz auf, holte die Bücher heraus und hielt sie hoch. Es wurde still. Das ganze Dorf sank in die Knie, inmitten des Schmutzes, der Asche und der Zerstörung. Der Schmied öffnete die Schließen des Gesangbuches, schlug die Blätter um und sagte dann laut: „Die Gemeinde singt das Lied Nummer fünfunddreißig des evangelischen Gesangbuches für das Kurfürstentum Sachsen.“ Dann sprach er die erste Strophe laut vor, der Schäfer blies auf seiner Schalmei und die Gemeinde sang:

„Allein Gott in der Höh sei Ehr / Und Dank für seine Gnade … “

Als sie das Lied zu Ende gesungen hatten, sagte der Schmied: „Nun steht auf, liebe Gemeinde, gebt dem Vieh seine Notdurft und gehe in sein Haus, wer noch ein Haus hat und helfet einander als Christenmenschen.“

Die Dienstmagd kniete noch immer, und zwar konnte sie nicht in Worten beten , aber sie fühlte Dank gegen Gott, daß sie gerettet war, und zum ersten Male begann sie zu verstehen, daß alles in Gott ist, und daß von Gott alles kommt , das Gute wie das Böse, und daß wir danken müssen für alles.

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