Liturgischer „Valentinsbrauch“ seit 25 Jahren
Kaum ein anderer Heiliger wird alljährlich in Zeitungen und Anzeigenblättchen so ausführlich beschrieben wie der heilige Valentin von Terni am 14. Februar. Obwohl wir über diesen Märtyrer, der möglicherweise im 3. Jahrhundert sein Leben ließ und alsbald entlang der Straße von Rom nach Terni in Umbrien (Italien) verehrt wurde, so gut wie nichts wissen, wird ein rührendes Bild gezeichnet: Ein Mönch soll er gewesen sein, der Liebenden Blumen aus seinem Klostergarten schenkte, der Paare gegen den Willen des Kaisers christlich traute, und der, als er ins Gefängnis geworfen wurde, sich in die Tochter des Gefängniswärters verliebte und ihr ein Kärtchen hinterließ mit den Worten „Von deinem Valentin“.
Blühender Unsinn, auch wenn angebliche (nie näher benannte) „Quellen“ und „Legenden“ dafür ins Feld geführt werden. Weder gab es im 3. Jahrhundert Mönche und Klöster noch Formen einer christlichen Trauung. Auch die immer wieder angeführten altrömischen Feste am 1. März (zu Ehren der Göttin Iuno, der Beschützerin der Ehe) und am 15. Februar (ein Hirtenfest) können wohl nicht als Hintergrund dafür gesehen werden, zumal sie ständig verwechselt werden. Woher aber kommt der Brauch, dass sich Liebende am 14. Februar Blumen (und anderes) schenken, dann?
Liturgische Hintergründe?
Seit einiger Zeit wird auf kirchliche Zusammenhänge verwiesen: In Gallien hat man die Geburt Jesu zunächst am 6. Januar gefeiert. Damit fiel das Fest der „Darstellung des Herrn“ („Mariä Lichtmess“), das 40 Tage später gefeiert wird, auf den 14 Februar. Zu den älteren Beständen des Festes zählt der Gesang „Adorna thalamum, Sion“ – „Sion, schmücke dein Brautgemach, und empfange Christus, den König.“ Als mit der Einführung des Weihnachtsfestes am 25. Dezember in Gallien die Vorverlegung von „Mariä Lichtmess“ auf den 2. Februar erfolgte, sei über das Mittelalter hinweg die Erinnerung daran erhalten geblieben, dass zum 14. Februar das Thema der „Ankunft des Bräutigams“ gehört hatte.
So sei in Frankreich der „Tag der Brautleute“ entstanden, der die ursprünglich christliche Festidee in säkularisierter Form weiterführte und nur zufällig auf den Todestag des heiligen Valentin fiel. Der Valentinstag verbreitete sich als „Tag der offenen Herzen“ und als „Love day“ auch in Belgien und England – von da aus nach Amerika und kehrte schließlich von dort her wieder nach Europa zurück.
Der Valentinsbrauch – ein liturgischer Nachklang vom Fest der „Darstellung des Herrn“? Ein interessanter Gedanke, es ist jedoch fraglich, ob sich diese These halten lässt.
Keine historischen Anhaltspunkte
Für Gallien wird das Weihnachtsfest am 25. Dezember sicher für das 6. Jahrhundert bezeugt. Das bedeutet, dass auch „Mariä Lichtmess“ ab dieser Zeit am 2. Februar gefeiert wurde. Wahrscheinlich wurde es aber sogar erst über römischen Einfluss im 8. Jahrhundert eingeführt – dann aber gleich am 2. Februar. Der alte Gesang zur Kerzenprozession dieses Tages („Sion, schmücke dein Brautgemach“) wird Kosmas dem Sänger zugeschrieben, der seit 743 Bischof der palästinischen Stadt Maium war. Dieses Lied wurde auch in die lateinische Liturgie übernommen und verbreitet sich von da aus ab dem 8. Jahrhundert. Zu dieser Zeit wurde aber die „Darstellung des Herrn“ – wenn überhaupt – längst am 2. Februar begangen. Von daher hat die schöne Theorie keinen Halt. Wahrscheinlich ist es wohl so, dass es es sich beim Valentinsbrauch um ein sehr altes Frühjahrsbrauchtum der ledigen jungen Leute handelt, dem der Heilige lediglich seinen Namen geliehen hat.
Christlicher Gegenbrauch
Interessanterweise macht aber der Valentinstag seit 25 Jahren durch den „Gegenbrauch“ einer Segnung von Liebenden und Paaren kirchlich von sich reden. Von Erfurt ausgehend, hat er sich inzwischen vielerorts etabliert; sogar von evangelischen Gemeinden wird er praktiziert, mancherorts auch ökumenisch begangen. Ausgangspunkt dafür war die Beobachtung, dass Valentin als Heiliger der Kirche inzwischen fast ausschließlich kommerzialisiert erscheint – andererseits aber den Kirchen Riten und Rituale für Liebende, wie sie der Valentinsbrauch darstellt, fehlen. So kam es am 14. Februar 2000 in Erfurt erstmals zur Feier von Gottesdiensten mit Segnungen von Menschen, die partnerschaftlich unterwegs sind. Eigentlich ein ausgesprochen pastoraler Ansatz, der zeigt, wie wichtig es ist, Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen in der Liturgie so zur Sprache zu bringen und ins Zeichen zu setzen, dass sie nicht nur Eingeweihten verständlich sind, sondern auch denen, die nur Gäste sind und sein wollen.
Liturgischer Kitsch
Es handelt sich zugleich um die geradezu klassische Umformung eines vorgefundenen „heidnischen“ Brauchs (so kann man die Kommerzialisierung Valentins durchaus nennen) durch eine christliche Feier. In der Geschichte der Kirche hat es dies vielfach gegeben, das beste Beispiel dafür bietet das Weihnachtsfest, das als Geburtsfest Jesu Christi wahrscheinlich auch eine christliche Reaktion auf das „Fest der Geburt des unbesiegbaren Sonnengottes“ darstellt. Bedauerlich daran ist eigentlich nur, dass die Kirchen durch unreflektierte Hinweise das Bild Valentins als eines „Patrons der Liebenden“ stützen und damit den Weg in den Kitsch freigeben – so etwa, wenn Gottesdienste unter dem Motto„All you need is love“ stehen und zu den Segnungen lovesongs aus den Charts gespielt werden.
Das Wort Kitsch umfasst im Deutschen eine Reihe von schwer auf einen Begriff zu bringenden Bedeutungen. In den nach 1900 entstandenen Ästhetiken wird er immer negativ beurteilt. Doch er hat nicht nur eine ästhetische, sonder auch eine soziologische Bedeutung.i Der Begriff taucht im 19. Jahrhundert in München auf; „verkitschen bedeutet unter der Hand verkaufen, einem etwas andrehen, das er eigentlich nicht gewollt hat; mit anderen Worten, Kitsch ist … Negation des Authentischen“ii, „Vorspiegelung falscher Tatsachen und Vortäuschung nicht vorhanderer Gefühle“iii. Der Begriff erhält über die Malerei und die Kunst hinaus eine Bedeutung, meist im negativen Sinn: ein formal und ideell meist wertloses, mit sentimentalen Effekten ausgestattetes, ein ungebildetes Publikum ansprechendes Produkt der Kunst, Literatur, Musik.iv Auch in Bezug auf die „Kunst, Gottesdienst zu feiern“ wird der Kitsch als Ausdrucksform in Betracht gezogen.v
Europapatrone?
Nicht vergessen werden sollte auch, dass der heilige Valentin weder im neuen Römischen Martyrologium (Verzeichnis der Märtyrer) noch im liturgischen Kalender steht. In letzterem findet sich am 14. Februar das Fest der Slawenapostel Cyrill und Methodius, die von Papst Johannes Paul II. 1980 zu Mit-Patronen Europas ernannt wurden. Um ihre Fürsprache zu bitten, wäre in der gegenwärtigen Zeit sinnvoller und nötiger, als das Bild eines Blumen verschenkenden Heiligen zu zeichnen, den es so nie gab.
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i Abraham Moles, Psychologie des Kitsches, München 1972, 24.
ii Ebd. 7.
iii Werner Hahne, De arte celebrandi oder Von der Kunst, Gottesdienst zu feiern. Entwurf einer Fundamentalliturgik, Freiburg i. Br. 1989, 153.
iv Ebd. 150f.
v Ebd. 150–168.