Kathrin Audehm | Erziehung bei Tisch

Kathrin Audehm
Erziehung bei Tisch

transcript-Verlag
Bielefeld 2007
Pb., 224 S.

24,80 €
ISBN 3-89942-617-7

Die gemeinsame Mahlzeit zählt zu den wichtigsten Alltagsritualen in Familien. Im Rahmen einer pädagogischen Ethnographie wird in diesem Buch zum einen verdeutlicht, wodurch sich die soziale Situation bei Tisch von Gewohnheiten oder Routinen abhebt und mit der Kategorie „Ritual“ sinnvoll untersucht werden kann. Zum anderen zeigt die umfangreiche empirische Analyse, wie sich bei Tisch die Konstitution der Familie im Hinblick auf die Anerkennung von Autorität vollzieht.

 

Im Mittelpunkt dieser Darstellung, die als Dissertation im Rahmen des Sonderforschungsbereiches „Kulturen des Performativen“ an der FU Berlin eingereicht wurde, stehen Ess-Situationen dreier Familien, wobei der Blick nicht nur auf das Tischgespräch gerichtet ist, sondern auch auf räumliche und szenische Arrangements rund um das Essen bzw. nonverbale Interaktionen bei Tisch.

Das religiöse Moment spielt bei den drei dargestellten Beispielen so gut wie keine Rolle; allerdings wird es in der Darlegung des Ritualbegriffes mit eingebracht. Um die gemeinsame Familienmahlzeit als Tischritual kennzeichnen zu können, wird in dieser Studie die Klassifizierung ritueller Handlungskomponenten des Religionswissenschaftlers Axel Michaels aufgegriffen, ohne seiner Festlegung des Rituals als Ausdruck jenseitiger Welten und letzter Dinge zu folgen.

Das Ritual des Familienessens, das in früheren Zeiten mehr oder weniger stark religiös geprägt war (vgl. G. Fuchs, Mahlkultur. Tischgebet und Tischritual 1998), ist nach Darstellung der Autorin, die an der FU Berlin am Arbeitsbereich Anthropologie und Erziehung lehrt, profan geworden: „Zur Profanität des Essens tragen hauptsächlich zwei …¶ Aspekte bei, zum einen die zur Normalität gewordene ständige Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, zum anderen der Wandel familialer Autorität.“ Das ist eine gute Beobachtung, denn beide Aspekte waren ursprünglich von eminenter religiöser Bedeutung (das Tischgebet als täglicher „Erntedank“; die Familie als vom „Hausvater“ geleitete „Kirche im Kleinen“). Beider Relativierung lässt das religiöse Moment in den Hintergrund rücken, wie es sicher bei sehr vielen Familien und Lebensgemeinschaften der Fall ist. Der Rückgang des Tischgebet-Rituals ist Ausdruck dieses Traditionsbruches, der nicht nur -schwund ist. Allerdings schimmern hie und da Erinnerungen an eine von der Religion bestimmte Ordnung durch (so etwa auch der von Audehm geschilderte sonntägliche Umzug in den repräsentativen Raum mit besonderer Gestaltung des Tisches bei einer der drei Familien).

Welche symbolische Vermittlung stellt ein Tischritual dann her?, fragt die Autorin. Vielleicht die Familie selbst, die Einheit der Familien in ihren Differenzen; im Tischritual wird die symbolische Ordnung der Familie artikuliert und aktualisiert. Anders als früher ist das Gelingen der kollektiven Inszenierung dabei angewiesen auf gegenseitige Anerkennung und individuelle Autonomie. – Eine interessante und aufschlussreiche Studie.

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